Wer zurzeit die mächtige Stadtpfarrkirche im Bregenzer Dorf betreten möchte, findet eine Baustelle vor – eine, die mittels archäologischer Begleitung einige bauhistorische Details an Tageslicht gebracht hat.
Im Zuge der laufenden Restaurierung soll eine Fußbodenheizung eingebaut werden. Bei derartigen Bodeneingriffen ist grundsätzlich mit historisch relevanten Überresten, etwa den Fundamenten von Vorgängerbauten und mit Gräbern usw., zu rechnen. Ein Fall für die archäologische Denkmalpflege. Im Auftrag der Pfarre wurden diese archäologischen Befunde im Mai und Juni 2023 durch den archäologischen Dienstleister Talpa (Wörgl) aufgenommen und wissenschaftlich dokumentiert (Abb. 1).

Denn was wir heute an der bestehenden Kirche sehen, ist eigentlich nur die (vorläufig) letzte Phase einer langen Geschichte. Ob der hl. Gallus im Jahr 610 tatsächlich an genau diesem Ort war, werden wir vielleicht nie erfahren. Die sagenumwobene Aureliakirche der Spätantike, von der die Heiligenvita berichtet, könnte sich auch in der Oberstadt oder am Leutbühel befunden haben. Was wir aber evidenzbasiert wissen, ist, dass ca. im 7. Jahrhundert n. Chr. ein Mann mit Schwert an seiner Seite im Bereich der heutigen Kirche bestattet wurde. Dank aktueller Recherchen im Archiv des Vorarlberg Museums ist nun wieder bekannt, wo sich dieses 1937 entdeckte „Alemannengrab“ genau befunden hat. Eine (hier erstmals publizierte!) maßstabsgerechte Skizze aus dem Grabungstagebuch Adolf Hilds (Abb. 2) liefert die entsprechende Information.

Auch im Zuge der letzten Restaurierung 1973 konnte das Bundesdenkmalamt unter Gerard
Kaltenhauser einige Grabungsschnitte anlegen und einige mittelalterliche Vorgängerbauten sowie vermutlich römische Mauern feststellen. Die Ergänzungen der Grundrisse blieben jedoch hypothetisch. Eine frühchristliche Bauphase ist bis heute nicht nachweisbar. Die aktuellen Ausgrabungen zeigen, dass im Hochmittelalter, um die Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung der Pfarrkirche 1097, eine massive Steinkirche mit Rechteckchor existierte. In einer zweiten romanischen Bauphase wurde diese zu einer dreischiffigen Basilika erweitert (ähnlich wie die damalige Klosterkirche der Mehrerau).
1380 dürfte die Kirche bereits ihre heutige Länge erreicht haben. Nach einem Brand 1477 erfolgte ein Wiederaufbau im gotischen Stil. Die aktuelle Grabungsfläche hat die Innenoberfläche dieses vom 16. bis Mitte des 18. Jahrhunderts (also bis zur Barockisierung)
bestehenden Kirchenraumes sichtbar gemacht. In diesem Boden sind einige Grabplatten eingelassen, die bisher von späteren Böden überdeckt waren. Sie zeigen Wappen, Kreuze und in einem Fall auch eine Inschrift (Abb. 3). Diese Befunde müssen noch einer wissenschaftlichen Auswertung zugeführt werden.

Wohl im Zuge der Barockisierung 1737/38 errichtete man vor den Chorstufen eine unter dem Kirchenboden liegende, mannstiefe, begehbare Gruft, die 36 (!) Priestergräbern Platz bieten sollte. Diese Priestergruft (Abb. 4), ein sogenanntes Columbarium, konnte nun wiederentdeckt und vorübergehend geöffnet werden. Über eine rechteckige Öffnung im Boden gelangt man in den zentralen, quer zum Kirchenschiff liegenden Gewölberaum. Die ziegelgemauerten und ebenfalls tonnengewölbten eigentlichen Grabnischen liegen an der West- und Ostseite und bilden drei Reihen zu je sechs Gräbern.

An der Westseite sind alle 18 Nischen tatsächlich besetzt, 12 davon auch noch zugemauert. Hier befindet sich in der südlichen Ecke eine aufgemalte Bezeichnung „FCH 1742“, die noch nicht aufgelöst werden konnte, jedoch in die Errichtungszeit der Gruft weist. Die übrigen sechs Nischen an der Westseite sind entweder später aufgebrochen worden bzw. besaßen nur eine Holzplatte als Abdeckung. Die einzige (erhaltene) steinerne Inschrift markiert das Grab von P. Merbod Ackermann OSB, Praebendar von 1757 bis 1769 (Abb. 5). An der Ostseite der Gruft, in der nördlichen Hälfte, befinden sich noch drei vermauerte und drei offene belegte Grabstellen. Die übrigen Nischen sind leer (Abb. 6). Die Benutzung der Priestergruft war nicht von langer Dauer, da unter Kaiser Joseph II. ab 1782 Bestattungen innerhalb der Kirchen nicht mehr üblich waren. Bemerkenswert ist, dass aus den Schriftquellen für diesen Zeitraum lediglich 10 Priester bekannt sind, die in dieser Gruft bestattet worden sein könnten. Im archäologischen Befund liegen dagegen 24 Bestattungen vor. Jede einzelne enthält noch Reste der Holzsärge, Textilien und menschliche Überreste. Um dieser letzten Ruhestätte mit der nötigen Pietät zu begegnen, ist geplant, die Gruftöffnung wieder zu verschließen und optisch dem Fußboden anzugleichen.


Warum macht man also Kirchenarchäologie? Viele der beschriebenen Erkenntnisse sind nur aufgrund der archäologischen Nachforschungen ermöglicht worden. Die Kombination aus schriftlicher Überlieferung und baulichem Befund erlaubt uns mitunter „die Geschichte neu zu schreiben“. In der freigelegten Grabungsfläche erhält man eine Visualisierung der unterschiedlichen und teilweise ineinander verschachtelten Bauphasen, wie sie sonst nicht sichtbar wäre. Auch die unterirdisch erhaltenen Überreste sind Teil des Baudenkmals und wichtige Geschichtsquellen – Zeugnisse nicht nur der kirchlichen Baugeschichte, sondern auch der Geschichte der Menschen, die hier gelebt haben und bestattet worden sind.
Andreas Picker, Bundesdenkmalamt – Archäologie Vorarlberg