Scherben bringen Glück! – Schritt für Schritt vom „Scherbenhaufen“ zur archäologischen Fundzeichnung

Derzeit werden im Rahmen des  FWF- Forschungsprojekts „Bedeutsame Scherben: Sigillata aus pre-consumption deposits“ an der Universität Wien zwei wichtige Terra-Sigillata-Fundkomplexe der mittleren römischen Kaiserzeit aus Bregenz bearbeitet: der im vorarlberg museum ausgestellte „Römerkeller 1878“ und der bislang im Depot verwahrte „Sammelfund 1911“ (vgl. auch „Luxusgeschirr? Nein, aber für die Archäologie eine bedeutende Quelle!“). Die Bearbeitung der Keramik besteht aus mehreren Schritten, die als dokumentarische Grundlage zur späteren wissenschaftlichen Auswertung und Analyse der Funde dienen und im Folgenden am Beispiel des „Sammelfundes 1911“ vorgestellt werden.  

Links: Karton mit staubigen Scherben (Foto: J. Kopf)
Rechts: Die Keramikfragmente werden gewaschen (Foto: M. Palmieri)

1. Die Reinigung der Keramikfragmente. Die Scherben werden aus den staubigen Kartons herausgenommen und in ein Sieb gelegt. Somit können beim Waschen keine kleineren Fragmente aus der Hand fallen und verloren gehen. Anders als bei den Funden, die direkt nach einer Grabung gewaschen werden, muss hier keine Erde entfernt werden, sondern nur der Staub (und ggf. Schimmelsporen…), der sich über die Jahrzehnte in den Kartons angesammelt hat. Nach dem Waschen werden die Scherben zum Trocknen ausgelegt.  

2. Das Sortieren der Scherben. Wenn die Scherben trocken sind, wird erst einmal sortiert! Das Tafelgeschirr weist mehrere Formgruppen wie Teller, Näpfe und Schüsseln auf, die wiederum in Typen (nach unterschiedlicher Ausprägung der Ränder, Wände und Böden der Gefäße) unterteilt werden können. Die Scherben werden jeweils den entsprechenden Formen und Typen zugeordnet.

Links: Die Fragmente werden von der Mitarbeiterin Marina Palmieri miteinander abgeglichen (Foto: K. Klein)
Rechts: Anpassende Fragmente werden vom Mitarbeiter Olivér Borcsányi geklebt (Foto: M. Palmieri)

3. Puzzeln & Kleben! Sobald die Scherben nach Form und Typ sortiert sind, wird gepuzzelt! Die Keramikfragmente werden alle innerhalb ihrer Typen einzeln miteinander abgeglichen, um anpassende Fragmente zu finden. Wenn zusammengehörige Scherben gefunden werden, werden diese mit einem angemischten Klebstoff (in unserem Fall Polyvinylbutyral gelöst in Aceton) geklebt. Im besten Fall können vollständige bzw. beinahe vollständige Gefäße rekonstruiert werden.  

4. Inventarisieren. Um bei den vielen Scherben den Überblick nicht zu verlieren, erhalten die einzelnen Gefäße bzw. Fragmente eine Nummer. Hierzu wird mit Hilfe von Nagellack und einem dünnen Stift die Inventarnummer auf die Scherben aufgetragen. Anschließend werden die gesamten Informationen zu den Fragmenten bzw. Gefäßen (Inventarnummer, Form und Typ, eventuelle Töpferstempel, Rand- und Bodendurchmesser, Höhe, Anzahl der Fragmente usw.) in eine Datenbank eingetragen, um die spätere Auswertung der Daten zu ermöglichen. Bei Funden aus einer aktuellen Grabung muss dieser Arbeitsschritt vor dem Suchen anpassender Scherben im Gesamtmaterial erfolgen, da in diesem Fall die Zuweisung zu einer bestimmten Schicht in der Erde bestehen bleiben muss. Erst nach dem Inventarisieren darf man Keramikfragmente verschiedener Schichten miteinander abgleichen. Da unser Material aber vor über 100 Jahren als ein großer Gesamtfund geborgen wurde, mussten wir darauf keine Rücksicht nehmen und konnten alle Scherben eines Typs vor der Inventarisierung miteinander sortieren und abgleichen.

Die Profile der Gefäße werden mit Hilfe des Laser Aided Profilers aufgenommen (Foto: A. Habrich)

5. Das Zeichnen der Gefäße. Hat man nun fertig abgeglichene und inventarisierte Gefäße, werden diese gezeichnet. Traditionell werden die Gefäße mit einem Profilkamm oder einem Bleidraht von Hand gezeichnet, doch das Institut für Klassische Archäologie in Wien hat im Sommer 2022 einen sog. Laser Aided Profiler erworben. Wir hatten als erstes Projekt am Institut die Möglichkeit, dieses Gerät auszuprobieren. Das Gefäß bzw. das Fragment eines Gefäßes wird hierbei auf eine Glasplatte gelegt und jeweils von unten und oben von einem Laserstrahl beleuchtet, wodurch das Profil (der Querschnitt) als Zeichenlinie aufgenommen wird. Das Gerät kann auch die Orientierung und den Durchmesser feststellen, wodurch eine (mehr oder weniger) fertige Zeichnung entsteht.

Die mit dem Laser Aided Profiler aufgenommenen Zeichnungen (in diesem Fall der Napf des Typs Dragendorff 27) werden in AutoCAD bearbeitet, um sie publikationsbereit zu machen (Foto: M. Palmieri)

6. Bei Reliefdekor und Stempeln: Abgießen! Manche Gefäße weisen auf der Innenseite einen sog. Töpferstempel auf und andere sind auf der Außenseite mit Reliefdekor in Form von figürlichen, pflanzlichen und ornamentalen Darstellungen verziert, zwischen welchen sich gelegentlich ebenfalls intradekorative Töpferstempel finden lassen. Um die Stempel und die Dekoration möglichst gut wiederzugeben, werden Gipsabgüsse angefertigt. Dabei wird Silikon auf die Dekorfläche aufgetragen, welches nach ein paar Tagen abgezogen werden kann. Dadurch erhält man eine negative Abformung des Dekors bzw. des Stempels. Die Silikonformen werden dann auf Styroporplatten aufgesteckt und anschließend mit Gips ausgegossen. Nach ein paar Tagen, wenn der Gips trocken ist, kann die Silikonform abgezogen werden und man erhält den fertigen Gipsabguss, der eine flache Abrollung der Motive im Originalmaßstab zeigt. Anschließend wird der Abguss fotografiert und dieses Foto in einem Computerprogramm mit der Linienzeichnung des Profils zusammengespielt. Damit erhält man eine fertige Zeichnung für die sog. Fundtafeln einer wissenschaftlichen archäologischen Publikation. 

Links: Auftragen des Silikons auf ein Gefäß mit Reliefdekor (Foto: M. Palmieri)
Rechts: Eine Schüssel des Typs Dragendorff 37 (oben) und der dazugehörige Gipsabzug (unten) (Foto: K. Klein)

Sobald die Daten zur Keramik fertig aufgenommen sind, kann die Zusammensetzung des Fundkomplexes (Anteile der verschiedenen Typen, Analyse des Dekors und der Stempel) mittels archäologischer und statistischer Methoden ausgewertet werden. Ergänzend hierzu werden sowohl mikroskopische Untersuchungen, als auch geochemische Analysen zur Zusammensetzung des Tons durchgeführt, um die Herkunft der Scherben festzustellen. Durch die Auswertung und Analyse des „Sammelfunds 1911“ aus Brigantium und mit Hilfe von Vergleichsstudien sollen Ergebnisse zur Produktion und zum Handel von Terra Sigillata erzielt werden, die ein besseres Verständnis des Handelsnetzes in der mittleren Kaiserzeit ermöglichen sollen.

Marina Palmieri, BA MA, Wissenschaftliche Projektmitarbeiterin (prae doc) des FWF-Projekts „Bedeutsame Scherben: Sigillata aus pre-consumption deposits” (Leitung: Univ.-Ass. Mag. Mag. Dr. Julia Kopf)

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