„Merkwürdig genug wurden sämtliche Nischen sowohl die unteren als die des Stiegenraumes buchstäblich leer aufgefunden; die große Menge der Geschirre und die übrigen Fundgegenstände kamen auf dem Kellerboden, hauptsächlich aber auf der Stiege vor; der Mittelteil der Stufen war offenbar frei gelassen für den Verkehr, dagegen in den Ecken fand ich die Stufe für Stufe überdeckt mit Geschirren, meist zusammengedrückt von der Last des Erdreichs, aber oft bis zum letzten Splitter vorhanden.“
Jenny 1880, 14.

Mit diesen Worten beschrieb Samuel Jenny das Fundmaterial jener Kelleranlage aus Gebäude 34 in Brigantium/Bregenz, welches bei seinen Ausgrabungen im Ölraingebiet 1878 entdeckt wurde (Abb. 1 und 2). Als sogenannter Bregenzer Kellerfund wurden sämtliche Funde, die stark von Keramik – insbesondere Terra Sigillata (abgekürzt TS) – dominiert werden, von Johannes Jacobs erst 27 Jahre nach der Veröffentlichung von Jennys Grabungsbericht im vorarlberg museum inventarisiert und Teile davon 1912 in einem kurzen Vorbericht publiziert. Seit jeher sind vor allem die Sigillaten dieses Kellers ein fixer Bestandteil der Dauerausstellung des vorarlberg museums – aktuell in der Ausstellung buchstäblich vorarlberg – in der sie unter dem Buchstaben L wie Luxus von Museumsbesucher:innen betrachtet werden können (Abb. 1).

Doch wie kam es dazu, dass sich so viele TS-Gefäße im Keller erhalten haben? Wie alt sind die Gefäße, wo wurden sie produziert und was hatte der Keller für eine ursprüngliche Funktion in Brigantium? Mit diesen Fragen hat sich die Verfasserin im Rahmen ihrer Anstellung beim FWF-Projekt “Bedeutsame Scherben: Sigillata aus pre-consumption deposits” beschäftigt und die Ergebnisse in einer Masterarbeit am Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien aufgearbeitet.
Wie durch Jennys Dokumentation (Abb. 3 und 4) erkennbar ist, entdeckte er nicht nur eine vereinzelte Kelleranlage, sondern auch ein obertägiges Gebäude, das u. a. mit Hypokausten ausgestattet war und ihn zu einer (falschen) Interpretation desselben als Bad verleitete. Doch schon Jenny erkannte Ende des 19. Jh., dass dieser Hypokaustenbau nicht Teil der ursprünglichen Kelleranlage und somit jünger als diese war. Somit ergab sich im Kontext der Auswertung die Problematik, dass sich unter den im vorarlberg museum inventarisierten Objekten auch jüngere Funde befinden konnten.
Aus dem Grabungsbericht war jedenfalls abzuleiten, dass es wohl zu einem Brand im ursprünglichen, obertägigen Gebäude kam, das wahrscheinlich vorwiegend in Holz-Fachwerk-Technik ausgeführt war, wodurch auch der Keller mitsamt seiner Holzdecke verstürzte. Dementsprechend wurde sein Fundmaterial unter Brandschutt begraben und war infolge nicht mehr zugänglich, sodass sich auch die darin befindlichen Sigillaten bis zu ihrer Entdeckung durch Jenny großteils vollständig erhalten haben.


Auf der Suche nach dem eigentlichen Kellerfund – dem Fundmaterial aus der Kelleranlage – galt es, die Zeitstellung und Herkunft der im vorarlberg museum vorhandenen Sigillaten zu bestimmen, wobei mehrere Methoden zur Anwendung kamen.
Ein wichtiges Indiz für die Chronologie des Kellerfundes bot insbesondere die Bestimmung der Töpferstempel, welche als Herstellermarken zumeist auf der Bodeninnenseite der Gefäße angebracht wurden und eine genaue Bestimmung der Werkstätten ermöglichen, die sie produzierten. Bei den sogenannten glatten Gefäßen des Kellerfundes (Abb. 5), die bis auf jene Stempel meist keinen weiteren Dekor tragen, ergab sich dadurch ein erster Hinweis auf einen Schwerpunkt bei den Produktionszentren von La Graufesenque und Banassac im heutigen Südfrankreich.
Die Bestimmung der stärker dekorierten Reliefware, welche in sogenannten Formschüsseln bzw. Modeln hergestellt wurde, gestaltete sich schwieriger: Sie fußt einerseits auf der stilistischen Analyse ganzer Dekorschemata (Abb. 6), andererseits auf der Betrachtung charakteristischer Einzelmotive wie Punzen oder Eierstäbe.
Doch wie können Scherben bzw. Gefäße bestimmt werden, die ungestempelt sind und keinen oder zu wenig Dekor tragen? In diesem Fall kam u. a. die Bestimmung der Scherbentypen zur Anwendung, wobei die charakteristische Beschaffenheit der Keramik unter dem Mikroskop untersucht und mit Referenzen verglichen wird.
Nachdem sechs Scherben aus Rheinzabern/Deutschland bzw. Lezoux/Frankreich mit deutlich jüngerer Zeitstellung klar aus dem sonst homogenen TS-Inventar der Kelleranlage hervorstachen, konnte der eigentliche Kellerfund endlich abgegrenzt werden: Es handelt sich um ein Ensemble aus 116 vorwiegend südgallischen Sigillaten, das u. a. anhand der Töpferstempel und des Dekors maximal zwischen 75 und 125 n. Chr. datiert werden kann und wahrscheinlich zw. 95 und 110 n. Chr. verschüttet wurde.


Aber wofür wurden so viele Sigillaten – bzw. so viel Tafelgeschirr – in einem Keller eines Gebäudes an der Hauptstraße von Brigantium eigentlich benötigt? Bis zu seiner vollständigen Bearbeitung wurde der Bregenzer Kellerfund meist als Händlerdepot gedeutet („Vermutlich handelt es sich bei diesen Stapeln gleichartiger Gefäße um das ‚vergessene‘ Warenlager eines Händlers.“ – Informationstafel vorarlberg museum). Insbesondere ein Blick auf die Beschaffenheit der Gefäße hat einen entscheidenden Hinweis für die Interpretation des ursprünglichen Kellergebäudes geliefert: Während ca. ein Viertel der Sigillaten noch relativ neuwertig war, als diese unter die Erde gelangten, zeigt ein genauso hoher Anteil eindeutige Gebrauchsspuren wie bspw. ein deutlich abgeriebener Überzug am Standring oder ein Graffito (eine nach dem Brand angebrachte Einritzung; Abb. 7). Dadurch kann es sich nicht wie bisher vermutet um ein Händlerlager bzw. pre-consumption deposit gehandelt haben, wo neuwertige Waren für den Verkauf gelagert wurden. Für ein Keramikensemble, das sich im Gegensatz dazu durch bereits genutzte Gefäße auszeichnet, wird in der Keramikforschung der Begriff consumption assemblage verwendet.

In welchen archäologischen Kontexten sind so große Mengen an teils bereits genutztem Tafelgeschirr, insbesondere TS, zu erwarten?
Für den auffällig hohen Anteil an Schüsseln, gefolgt von ungefähr gleich stark vertretenen Tellern und Näpfen sowie relativ wenigen Bechern fanden sich die besten Parallelen im Sigillatenspektrum von Gastronomiebetrieben bzw. Gaststätten. In dem hospitium (Herberge) bzw. der caupona („Wirtshaus“ bzw. Imbiss mit Küche und Verweilmöglichkeit) von Kaiseraugst-Schmidmatt 1 im Schweizer Kanton Aargau bot sich nicht nur ein ähnliches Bild in Bezug auf die Verteilung der TS-Formen, sondern auch bei den Warengruppen der gesamten Gefäßkeramik (Anm. Tafel- bzw. Auftragsgeschirr, Kochwaren und Vorratsgefäße). In jenem Gastronomiebetrieb, welcher Ende des 3. Jh. von einem Brand zerstört wurde, dominiert wie beim Kellerfund das Tafelgeschirr stark vor wenigen Koch- und Vorratswaren. Diese Vergleiche veranlassten die Verfasserin somit, auch das ursprünglich zur Bregenzer Kelleranlage gehörige Gebäude als „Wirtshaus“ bzw. caupona zu interpretieren, wonach der Keller wohl als deren Lagerraum für Lebensmittel und Geschirr diente. Auch die übrigen Funde aus dem Keller wie bspw. Krüge oder Messer lassen vermuten, dass man bereits am Übergang vom 1. zum 2. Jh. n. Chr. in Bregenz – eventuell nach einem Forums- oder Thermenbesuch – gerne zentral speiste und trank.
Verfasserin:
Elisabeth Todt, ehemalige wissenschaftliche Projektmitarbeiterin des FWF-Projekts „Bedeutsame Scherben: Sigillata aus pre-consumption deposits“ (Leitung: Julia Kopf)
Literatur:
G. Grabher, luxus – depotfund römischer terra sigillata, in: A. Rudigier – T. Anwander – M. Lang (Hrsg.), Buchstäblich Vorarlberg (Hohenems Wien 2013) 139–147.
J. Jacobs, Sigillatafunde aus einem römischen Keller zu Bregenz, Jahrbuch für Altertumskunde 6, 1912, 172–184.
S. Jenny, Bauliche Ueberreste von Brigantium, Rechenschaftsbericht des Ausschusses des Vorarlberger Museums-Vereins in Bregenz 20, 1880, 10–26.
E. Todt, Die Terra Sigillata des Kellerfundes 1878 aus Brigantium/Bregenz (Masterarbeit Universität Wien 2024).
S. Wyss – A. Wyss-Schildknecht, Der römische Gebäudekomplex von Kaiseraugst-
Schmidmatt. Handel und Gewerbe an der Fernstrasse in der Unterstadt von Augusta
Raurica, Forschungen in Augst 56 (Basel 2022).