Ob beim Kauf auf dem Wochenmarkt, beim örtlichen Nahversorger, im Großhandel oder im Baumarkt – heute können wir uns sicher sein, dass die gekaufte Ware auch das ausgewiesene Gewicht oder Volumen erreicht. In römischer Zeit war das noch etwas anders, auch in Brigantium, dem wichtigsten Umschlagplatz der Provinz Raetien im 1. Jahrhundert n. Chr.
In den Jahrzehnten um Christi Geburt war der Handel im römischen Reich noch in einem viel geringeren Maß reglementiert als heute. Viele wichtige Lebensmittel wie Getreide, Öl oder Wein wurden nicht nach Gewicht, sondern nach Volumen verhandelt. Diese Praxis hatte auch den Vorteil, im hektischen Markttreiben wenig Zeit für ein akkurates Wiegen mit Schnell- oder Balkenwaagen zu vergeuden. Stattdessen kamen Hohlmaße zum Einsatz, die den im Mittelalter und in der Neuzeit weit verbreiteten Raummaßeinheiten wie dem Scheffel – einem Raummaß für trockene Güter – vorausgingen.
Allerdings erfolgte in römischer Zeit noch eine Korrelation mit Gewichtseinheiten, sodass ein jedes Hohlmaß auf das spezifische Gewicht der vorgesehenen Ware abgestimmt war. Der Nachteil dieser Überprüfbarkeit war, dass für verschiedene Waren die Standardmaße stets spezifisch hergestellt werden mussten, da Öl beispielsweise eine andere Masse hat als Weizen, Gerste oder Wein und alle beim selben Gewicht unterschiedliche Volumina aufweisen.
So wurde bei den Römern gemessen
Aber wie konnte sich der Kunde sicher sein, nicht über das Ohr gehauen zu werden? Heute kennen wir sogenannte Normale als metrologischen Vergleichsgegenstand. Diese physikalischen Größen sind im gesetzlichen Messwesen verankert und damit für den Handel verbindlich. In römischer Zeit gab es in den Provinzen nur wenige Orte, wo die Ware dahingehend überprüft und Maßeinheiten kontrolliert werden konnten. Im heutigen Österreich sind nur aus Bregenz Belege für diese rund ums Mittelmeer weit verbreiteten Eichmöglichkeiten bekannt. Zu den bekanntesten zählt der Eichtisch, eine sog. mensa ponderaria, aus Pompeji (Abb. 1). In der Forschung hat sich dieser Kunstbegriff durchgesetzt – die antike, umgangssprachliche Bezeichnung kennen wir nicht.

Einzigartige Funde in Bregenz
Auf dem Bregenzer Ölrain kamen seit dem 19. Jahrhundert insgesamt drei Objekte zum Vorschein, die als Reste einer Eichmöglichkeit anzusehen sind. Sie datieren in die Zeit ab 75 n. Chr. Ein erstes Element wurde bereits von Samuel Jenny 1881 geborgen und als Bruchstück eines Eichtisches erkannt (Abb. 2, oben). Wie bei ähnlichen Stücken aus dem ganzen Römischen Reich ermöglichen die beiden z. T. erhaltenen, kegelstumpfförmigen Vertiefungen – in der Fachwelt Kavitäten genannt – die Überprüfung verschiedener Waren. Die kleinere (A) wies ursprünglich ein Volumen von gut 3,5 l auf und deutet auf eine Haushaltsmenge von Olivenöl hin. Die größere (B) war mit einem Volumen von ca. 4,3 l am ehesten auf einen ähnlichen Bedarf an Gerste ausgerichtet.

Einige Jahre später, aber noch vor 1900, kam beim Bau der heutigen Josef-Huter-Straße ein seltsames Objekt zum Vorschein, das man für ein Kapitell (den oberen Abschluss einer Säule) hielt (Abb. 2, unten links). Zunächst ging man davon aus, dass das Objekt in seiner letzten Verwendung nicht mehr die Säule eines großen öffentlichen Bauwerkes krönte, sondern zu einem Wasserbecken umfunktioniert wurde: Das Kapitell ist kurzerhand umgedreht und eine Vertiefung eingearbeitet worden. Erst unlängst gab sich dieses Objekt als Ergänzung der mensa ponderaria zu erkennen. Dem gegenwärtigen Forschungsstand nach deutet das Volumen (C) von ca. 22,3 l auf ein gebräuchliches Hohlmaß für eine größere Menge von Weizen hin.
Bei Grabungen im Bereich des ehemaligen Unfallkrankenhauses Dr. Böckle kam 2010 ein weiteres Kapitell zum Vorschein, das ebenfalls mit einer großvolumigen Vertiefung (D) ausgestattet worden war (Abb. 2, unten rechts). Das Fassungsvermögen entspricht knapp 26 l, was der frühkaiserzeitlichen Maßeinheit einer amphora gleichkommt und die Überprüfung größerer Mengen importierten Weins erkennen lässt.
Alle drei Objekte werden wegen der gemeinsamen Referenzmaße zusammen aufgestellt gewesen sein: Zwei Hohlmaße dienten der Überprüfung von flüssigen Waren, zwei waren für trockenes Schüttgut wie bestimmte Getreidesorten vorgesehen (Abb. 3).

Aber wie stellen wir uns die Verwendung dieser Objekte vor? Ein Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen gab es damals natürlich nicht. Eine Eichmöglichkeit war aber integraler Bestandteil einer Siedlung, die über das Marktrecht und eine eigene Verwaltung verfügte. Die beträchtlichen Aufwendungen für diese technisch anspruchsvolle Installation wurden aber nicht von der öffentlichen Hand getragen, sondern von Vermögenden gestiftet. Eine weitere Voraussetzung war eine gute Zugänglichkeit in der Nähe des wirtschaftlichen Zentrums, wo Wochenmärkte o. ä. abgewickelt wurden. Im Laufe der Zeit veränderten sich nicht nur die Handelswege, sondern auch die Maßeinheiten. Möglicherweise existierte die Eichmöglichkeit nur für etwa 50 Jahre, ehe sie noch in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. abgebaut und das Steinmaterial anderweitig verwendet wurde.
Literatur:
K. Oberhofer, Zwei bemerkenswerte Hohlmasssteine aus Brigantium/Bregenz: neue Erkenntnisse zur mensa ponderaria. Archäologisches Korrespondenzblatt 50,1, 2020, 57–75.
Autor: Dr. Karl Oberhofer, Universität zu Köln