Ein Kalkofen ist eine technische Einrichtung zur Herstellung von Branntkalk aus Kalkgestein, u.a. für Mörtel, Putze, Farbe, für hygienische Zwecke, z.B. zur Desinfektion von Stallanlagen, für die Glas- und Seifenherstellung, das Gerberhandwerk uvm. Ökonomisch ist das historische Kalkbrennen im ländlichen Raum oft – so auch der hier behandelte Befund von Vergalda (Gargellen)* – in den Rahmen bäuerlichen Nebenerwerbs zu stellen. Seine Relikte, als archäologische Befunde erhaltene Brenngruben und gemauerte Öfen, sind Zeugnisse eines fast vergessenen Handwerks.
Der Landbote, 15. Juli 1892: „Gargellen, 4. Juli. Mit der Waldwirtschaft ist es hier schlimm bestellt. Ich habe eine große Meinung mit vom Land hereingebracht von den Waldungen des Standes Montavon, was ich aber in dem Weichbild der Fraktion Gargellen gesehen habe, ließ mich bald auf eine arge Mißwirthschaft schließen…….In dem vis-á-vis der Ortschaft Gargellen am Abhang des schroff abfallenden Schmalzberges liegen mehr oder weniger breite Waldstreifen, die schon wegen der dazwischen liegenden entholzten Stein- und Lawinen-Runsen besonders sorgfältig gepflegt und zu erhalten gesucht werden sollten, sei in den letzten Jahren immer noch Holz zum Schlagen ausgezeichnet worden, während auf den am Rücken von Gargellen liegenden ebenfalls steilen Waldungen vom verstorbenen Forstwarte ungebührlich Holz für seine Kalkbrände entnommen worden sei. Ohne die nothwendige forstämtliche Bewilligung wird es allerdings nicht geschehen sein, doch heißt es den Bock zum Gärtner machen, wenn ein Kalkbrenner zum Forstwarte gemacht wird …“

Wie die oben angeführte Notiz im Landboten von 1892 zeigt, wurden im Gargellen noch am Ende des 19. Jahrhundert Kalköfen betrieben, z.T. nicht ohne Gefährdung der Allgemeinheit (Stichwort: Schutzwald), wohl auch infolge eigennützigen Raubbaus durch die Forstverwaltung (es gilt die Unschuldsvermutung). Mit der einsetzenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert verschwand dieser Nebenerwerbszweig langsam, ebenso wie die im Haupterwerb als handwerkliche Kleinbetriebe unterhaltenen Kalkbrennöfen. Es entwickelte sich auch in Vorarlberg die Zementindustrie, z.B. wurde schon im Jahr 1860 in Bings ein Kalk-, Gips- und Zementwerk errichtet.
Im Jahr 2020 erfolgte die archäologische Untersuchung und Rekonstruktion von einer dieser historischen Produktionsstätten (Vergalda 1), die nun im Rahmen des Vermittlungskonzeptes des Rundwanderwegs „Gargellner Fenster“ am Originalschauplatz präsentiert wird. Dieser Kalkbrennofenbefund liegt südlich des Mündungsbereichs des von Westen strömenden Wißwandtobels in den von Süden kommenden Valzifenzbach (Abb.1). Er wurde in Hanglage in Trockenmauerbauweise angelegt und ist nach Norden exponiert. Von hier führte ein Pfad bei geringer Steigung in Richtung des von Westen kommenden Bachlaufs, dem nächsten natürlichen Aufschluss für kalkige und kristalline Gesteine (Geschiebe).

In den wesentlichen Grundzügen ihres Aufbaus ähneln sich die Kalkbrennöfen vom Mittelalter an bis in die Neuzeit hinein. So entspricht auch der Ofen Vergalda 1 generellen Grundkonzepten. Die Basis des Ofeninneren, der sogenannte Herd, ist von einem Arbeitsraum aus, der Küche (Abb.2), über die Öffnung der Ofenschnauze erreichbar. Das Frontmauerwerk mit der Ofenschnauze wird als Ofenbrust bezeichnet. Hinter der Ofenschnauze befindet sich der Feuerungsbereich (mit dem Herd als Basis), über dem bei der Beschickung mit Kalkgestein zuerst ein Gewölbe (Himmel) errichtet wird. Dieses bildet die nach oben geschlossene Feuerungskammer, über der dann von oben die dicht gesetzte Kalksteinbeschickung eingebracht wird, die gebrannt werden sollte.

Zu Grabungsbeginn war nur ein mit Steinen verfüllter Rest des (Abb.3) in die natürliche Hangflanke eingepassten Ofens zu sehen (vgl. Abb.2). Im Vergleich zum Bau von freistehenden Kalkbrennöfen waren hierdurch Material- und Arbeitsaufwand wesentlich geringer. Den Druck des Brennmaterials (Kalkgestein) auf den Ofenmantel glich das Hangsediment aus. Der Ofenkranzbereich (Gicht) wurde durch eine künstlich planierte Fläche (Lager für das Rohmaterial Kalkgestein), die im Westen anschloss, gut zugänglich gemacht. Von hier aus konnte auch die Abdeckung der Kalksteinfüllung, die das Beschicken dieser Öfen abschloss, auf dem Niveau der Gicht erfolgen und gegebenenfalls eine Regulierung der Zugluft über eingebauten Pfeifen durchgeführt werden. Die Anlage des Ofens in Hanglage ermöglichte aber auch das ebenerdige Erreichen der Ofenküche, dem Raum von dem aus der Ofen durch die Ofenschnauze befeuert wurde (Abb.4).

Der Laufhorizont der Ofenküche fiel mit ca. 5° zur Ofenbrust ein. Die Flügelmauern der trapetzförmigen Ofenküche wurden ohne Verzahnung an die freistehende Ofenbrust angesetzt. Aufgrund behindernder Felsblöcke im Untergrund war die Ofenschnauze in der Ofenbrust leicht nach Osten versetzt angelegt (Abb. 5). Es konnte aus dem Befund abgeleitet werden, dass die im Westen an der Ofenbrust auflagernde erste Komponente des Sturzgewölbes ca. 1 m über dem natürlich gewachsenen Boden positioniert wurde, wodurch eine Ofenöffnung von mindestens 1 m Höhe entstand. Hinweise auf eine hier permanent eingebaute Trennkonstruktion, die in eine Feueröffnung und eine tiefer liegende Zugöffnung unterteilt hätte (vgl. Abb.2), bestanden nicht. Der Ofenmantel wurde im Bereich der Feuerkammer innen mit einer zweiten Schale aus kristallinem Gestein versehen, die den eigentlichen Mantel gegen die Hitze schützen sollte. Die Feuerkammer verfügte über eine Ofenbank, einen vorkragenden Vorsprung, auf der die Kalkgesteinkonstruktion des Himmels aufsetzen konnte. Zentral in der Feuerkammer lag der Herd, der nach Norden, im Niveau des Aschenkanals (die Basis der Ofenschnauze) in diesen überging. Wahrscheinlich aufgrund der asymmetrischen Anlage der Ofenbrust wurden Bereiche der Ofenbank und der Ofenbrust im Westen massiver ausgeführt (Abb.6; Abb.7).

Eine dendrochronologische Datierung von Probenmaterial, das aus dem Bereich des Herdes gewonnen werden konnte, stellt den letzten Brennvorgang des Kalkbrennofens Vergalda 1 in das dritte Viertel des 19. Jahrhunderts – in die Zeit der beginnenden industrialisierten Kalk-, Gips- und Zementproduktion. Es ist anzunehmen, dass in etwa diesem Zeitrahmen die kleinen Produktionsstätten des Montafons gänzlich unrentabel wurden, bis schließlich auch die Produktion für den Eigenbedarf unterblieb. Oder aber, ein anderer Vorgang hatte gefruchtet. Denn bereits im Landbote wird bemerkt: „Eine Commission zur Untersuchung dieser Umstände und entsprechender Ab- und Nachhilfe wäre sehr am Platze“. (Der Landbote, 15. Juli 1892)


Autor: Claus-Stephan Holdermann, Archäologe
*Finanziert und unterstützt durch die Montafon Tourismus GmbH, die Gargellner Bergbahnen GmbH & Co KG und die Montafoner Museen. Der Autor bedankt sich bei den zahlreichen Unterstützern und Mitwirkenden vor Ort und bei Herrn Dr. Klaus Pfeifer, Labor für Dendro(chrono)logie, Holzanalytik – Bauforschung / Egg, für die dendochronologische Analyse der Holzproben. Weiterführend zur archäologischen Untersuchung, zur archäohistorischen Datenbasis (u.a. Ofentypen), zum Prozess des Kalkbrennen (u.a. Prozess, Materialbedarf, Zeitansätze, Experiment) und zur Rekonstruktion des Ofens Vergalda 1: Claus-Stephan Holdermann, Branntkalk, ein Produkt bäuerlichen Nebenerwerbs und handwerklicher Kleinbetriebe – archäohistorische Skizze zu einem Kalkofen bei Vergalda, Gargellen / Montafon, Montafoner Museen, Jahrbuch 2020, 97–109. Friedrich Juen, Wiederaufbau eines Kalkofens im Gargellental, Montafoner Museen, Jahrbuch 2020, 110–113.
Eine wunderbare Sache, diese Darstellungen! Gratuliere dem Landesmuseumsverein zu dieser Initiative!
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