Archäozoologische und mikromorphologische Probenentnahme in Bregenz-Brigantium

Foto: S. Knura

Für das Forschungsprojekt „Meet and Greet“ unter der Leitung der Universität zu Köln und der Universität Basel konnte vom 17. bis 22.10.2022 im Forum von Bregenz-Brigantium eine Sondage angelegt werden. Dabei wurden Sedimentproben entnommen, um nach möglicherweise vorhandenen Kleintierresten zu suchen. Mit Hilfe von Blockproben für die Mikromorphologie soll festgestellt werden, wie die einzelnen Erdschichten entstanden sind und sich zusammensetzten.

Das Forschungsprojekt „Meet and Greet: Platzanlagen in Kleinsiedlungen (vici) der Nordwestprovinzen des Römischen Reiches“ untersucht die Zentren des öffentlichen Lebens entlang von Rhein und Donau. Bregenz-Brigantium hat wegen seiner Bedeutung als Zentralort am Bodensee und den 2017 abgeschlossenen Grabungen im sog. Forum ein großes Potenzial, neue Erkenntnisse zu liefern (Abb. 1). Im Rahmen des Projektes sollen nicht nur die materiellen Hinterlassenschaften wie Baureste und Funde neu analysiert werden, sondern auch ausgewählte naturwissenschaftliche Methoden angewandt werden, um das tagtägliche Leben auf öffentlichen Plätzen in römerzeitlichen Kleinsiedlungen besser zu verstehen.

Abb.1: Der Forumskomplex von Bregenz-Brigantium. Im Vordergrund die Grabungen 2017 mit Visualisierung der bekannten Mauerzüge. Im rot markierten Bereich wurde eine neue Sondage geöffnet. Foto: K. Oberhofer, Überarbeitungen: A. Picker, K. Oberhofer.

Mit Hilfe der Mikromorphologie ist eine Untersuchung der in römischer Zeit entstandenen Erdschichten viel präziser möglich als während konventioneller Grabungstätigkeit. Damit aussagekräftiges Material für eine Auswertung entnommen werden kann, braucht es zunächst eine ungestörte Schichtabfolge, die nicht von modernen Bodeneingriffen verändert wurde. Aufgrund früherer Ausgrabungen und anderer Faktoren kam für die Beprobung der Sedimente nur ein kleiner Ausschnitt in Frage. Dieser befindet sich in der Vorhalle des römischen Forums und damit in einer Durchgangszone, wo Leute die Einrichtung betraten und wieder verliessen. Die zuletzt 2017 ausgegrabene Fläche wurde nach Abschluss der Arbeiten wegen eines geplanten Bauprojektes nicht wieder zugeschüttet. In weiterer Folge eroberte die Natur den Raum der ehemaligen Platzanlage (Abb. 2).

Abb. 2: Fünf Jahre nach der letzten Grabung hat die Natur den Forumskomplex zurückerobert. Foto: Ch. Pümpin.

Nach einer geringfügigen Erweiterung der Grabungsfläche von 2017 erlaubt ein ungestörtes Bodenprofil die Entnahme unverfälschter Proben. Die Arbeit wurde von Hand mit Schaufel und Spitzhacke durchgeführt und dauerte etwas mehr als zwei Tage.

Als die unterste, nach der letzten Eiszeit und ohne menschliches Zutun entstandene Schicht fast erreicht war, kam eine unerwartete Konzentration von Tierknochen zum Vorschein. Diese lagen dicht gepackt neben- und übereinander über den ganzen Schnitt hinweg. Wie sich bereits bei der Bergung der Knochen erkennen liess, handelte es sich hauptsächlich um Unterkiefer, Schulterblätter, Rippen und Fussknochen von Rindern (Abb. 3). Die Schicht befindet sich jedoch wesentlich tiefer als das Laufniveau des Forums und ist wahrscheinlich in den ersten Jahrzehnten nach Christi Geburt entstanden, als auf dem Ölrain ein römisches Militärlager stand. Die Bedeutung dieser besonderen Knochenauswahl wird durch die archäozoologische Detailuntersuchung zu klären versucht. Dabei werden die Fundstücke auch auf Hinweise zur Art, auf pathologische Auffälligkeiten wie Verletzungen oder Krankheiten, zum Sterbealter und zur Zerlegung der Tiere untersucht.

Abb.3: Ein unerwarteter Befund: Schicht mit zahlreichen Tierknochen. Foto: Ch. Pümpin.

Mit dem Erreichen der jüngsten nacheiszeitlichen und damit archäologisch sterilen Schicht wurde die Sondage nach den Vorgaben des Bundesdenkmalamtes dokumentiert und eingemessen. Neben der Fotodokumentation (Abb. 4) ist das Einzeichnen der einzelnen Schichten und ihre Beschreibung essenziell, um die zu entnehmenden Proben einordnen und interpretieren zu können.

Abb.4: 2000 Jahre Siedlungsgeschichte von Bregenz – das Profil für die Probenentnahme.
Foto: S. Knura.

Nach Abschluss der Dokumentation wurden die Proben für die mikromorphologischen Analysen an ausgewählten Stellen mithilfe von Plastikboxen entnommen. Die Erde muss dabei zuerst vorsichtig um die gewünschte Probenstelle entfernt werden, bis eine Plastikbox über das «freischwebende» Material gestülpt werden kann (Abb. 5). Anschliessend wird die Probe lagegenau vermessen und mit der orientierten Schichtabfolge aus dem Profil herausgelöst. Diese wird an der Integrativen Prähistorischen und Naturwissenschaftlichen Archäologie (IPNA) der Universität Basel in Kunstharz eingegossen, gehärtet und aufgesägt. Aus den erhaltenen Scheiben werden an ausgewählten stellen Dünnschliffe hergestellt. Anschliessend werden diese unter dem Mikroskop untersucht. Dadurch können z.B. bei Schichtübergängen Laufniveaus erkannt werden und es ist möglich, zwischen aufgeschütteten Schichten und tatsächlich begangenen Böden zu unterscheiden. Zudem kann auch die Konstruktionsweise und Instandhaltung eines Bodens ermittelt werden und damit verschiedene Fragestellungen beantworten: Gab es beispielsweise Holzböden? Fielen Gegenstände zwischen die Dielen, wo sich Kleintiere tummelten? Was geschah, als niemand mehr die Vorhalle des Forums fegte?

Abb.5: An den Schichtübergängen werden mikromorphologische Proben entnommen. Foto: J. Heinrich.

Neben den Proben für die Mikromorphologie wurden auch Lockersedimente für die Analyse der Kleintierreste entnommen. Neben den Knochen größerer Tiere sind auch die Reste kleinerer wie etwa von Fischen, Schnecken oder Insekten zu einer wichtigen Quelle für Archäologie geworden. Von jeder der 35 dokumentierten Erdschichten wurde daher so viel Material wie möglich geborgen. Bei sehr dünnen, manchmal nur 1-2 cm dicken Niveaus konnte nur ca. 0.5l entnommen werden, bei dickeren bis zu mehreren Litern. Am IPNA werden die Proben mittels Halbflotation geschlämmt. Dabei lassen sich die organischen Reste von den anorganischen wie Steine und Sediment mit Hilfe unterschiedlich feiner Siebe unter fließendem Wasser trennen. Nach dem Trocknen können die Überbleibsel von Kleintieren unter dem Binokular analysiert werden. So deuten z. B. Mäuse und andere Schädlinge auf das Vorhandensein von Nahrungsmitteln hin, weil diese davon angelockt wurden. Ließen sich viele Fischschuppen und -wirbel nachweisen, könnte möglicherweise ein Fischerstand in der Nähe gewesen sein. In so einem Fall kann auch herausgefunden werden, was für Fische verhandelt wurden.

Mit all diesen kleinen Puzzleteilen kann die Geschichte und der Alltag auf dem römerzeitlichen Forum von Bregenz rekonstruiert werden – wir werden weiter berichten.

Dank an die Familien Widmer und Spieler, DFG und SNF für die Finanzierung und dem vorarlberg museum für die logistische Unterstützung.

Autoren: Joe Heinrich, Christine Pümpin, Benjamin Sichert (IPNA, Universität Basel) und Karl Oberhofer

Quellen:

S. Deschler-Erb, Schlemmerei in Brigantium. Untersuchungen zu den Tierknochen aus einem Sodbrunnen und dem Kultbezirk. In: C. Ertel/V. Hasenbach/S. Deschler-Erb (Hrsg.), Kaiserkultbezirk und Hafenkastell in Brigantium. Ein Gebäudekomplex der frühen und mittleren Kaiserzeit (Konstanz 2011) 289–325.

K. Ismail-Meyer/Ph. Rentzel, Geoarchäologie und Mikromorphologie: Auf Spurensuche in archäologischen Schichten. In: T. Burri/R. Stapfer, (ed.) Naturwissenschaftliche Methoden in der Archäologie. Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern, Bd. 75 (Bern 2018) 178–197.

K. Oberhofer, Die Ausgrabungen 2016/2017 im sogenannten Forum von Brigantium-Bregenz (Österreich). Ein Vorbericht. Jahresh. Österr. Arch. Inst. 88, 2019, 345–386.

E. Schmid, Knochenatlas für Prähistoriker, Archäologen und Quartärgeologen (Amsterdam 1972).

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