Ein „schräger“ Bau über römischen Mauern – Archäologie und Architektur des Seniorenheims Tschermakgarten in Bregenz 

Foto: A. Picker

Jedes Zimmer sollte einen Balkon und genügend Sonne bekommen. Außerdem musste man bei der Planung des Bregenzer Seniorenheims in den 1970er Jahren auf die gut erhaltenen Reste von römischen Gebäuden Rücksicht nehmen. Seit fast 45 Jahren erfüllt das etwas in die Jahre gekommene, aber architektonisch noch immer ansprechende Wohnheim in der Riedergasse auch (und ganz gewollt) die Funktion eines archäologischen Schutzbaus.

Das heißt, ein zeitgenössischer Bau schützt alte, ausgegrabene Baureste vor Wind und Wetter und anderen natürlichen (und menschengemachten) Bedrohungen (Abb.1). 

Abb.1: Der Westtrakt des Seniorenheims Tschermakgarten mit den Überresten des römischen Gebäudes 23. (Foto: A. Picker) 

Als Samuel Jenny 1891 am Ölrain den sprichwörtlichen Spaten ansetzte, konnte noch niemand ahnen, welche Art von Architektur hier einmal entstehen würde. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat sich ein ansehnliches Villenviertel entwickelt. In der römischen Kaiserzeit erstreckte sich hier das Stadtgebiet von Brigantium. Südlich der römischen Hauptstraße, deren Reste unter dem Garten der evangelischen Kirche liegen, befand sich einst das „Händlerviertel“ mit seinen schmalen, dicht an dicht aneinandergebauten sogenannten Streifenhäusern (Abb.2). Ein Dutzend dieser Gebäude konnte damals freigelegt und vorbildlich vermessen werden. Jennys Grabungen beeinträchtigten die römischen Überreste offenbar kaum. Sie wurden zeitnah wieder überschüttet und blieben vorerst erhalten. Obwohl in den letzten 150 Jahren weite Teile des römischen Brigantium erforscht worden sind, wurden nur relativ wenige Überreste obertägig sichtbar konserviert – der Großteil liegt gut geschützt unter der Erde. 

Abb.2: Grundrisse des 1891 erstmals und 1975 erneut ausgegrabenen Händlerviertels von Brigantium über dem aktuellen Luftbild. (Plan: K. Oberhofer/A. Picker/U. Reiterer, Luftbild: Land Vorarlberg)

Etwa 80 Jahre später kam das Areal am Tschermakgarten ins Visier einer baulichen Verwertung. Josef Tschermak überließ sein Grundstück 1969 testamentarisch der Stadt Bregenz, mit der Auflage dieses für einen sozialen Zweck zu nützen. Offenbar dachte man erst nach Durchführung des Architektenwettbewerbs 1974, im Zuge dessen bereits zwei erste Preise vergeben worden waren, an die Notwendigkeit von archäologischen Ausgrabungen. In der Folge konnte das Vorarlberger Landesmuseum unter Elmar Vonbank 1975 das „Händlerviertel“ erneut freilegen und dokumentieren – unter erheblichem Zeitdruck und mit einer zunächst durchaus prekären Finanzierung. Die östlich gelegenen römischen Baureste mussten der Zerstörung durch den Neubau preisgegeben werden. Am südwestlichen Rand des Baufeldes stieß man auf das (heute so bezeichnete) Gebäude 23, das an der südwestlichen Längsseite einen offenen Laubengang (porticus) zur römischen Nebenstraße 2 aufwies. Die dazugehörigen Sandsteinpfeiler sind heute im Garten des Seniorenheims noch zu sehen, ebenso die teilweise mannshoch erhaltenen aufgehenden Mauern (Abb.3).

Abb.3: An Gebäude 23 sind die unterschiedlichen Auswirkungen von Wind und Wetter ohne (links) und mit Überdachung (rechts) gut erkennbar. (Foto: A. Picker) 

Im Inneren des römischen Gewerbebaus befanden sich mehrere Wohn- bzw. Wirtschaftsräume, ein schmaler Korridor und (besonders eindrücklich) ein tiefer schachtartiger Raum, der vielleicht als Zisterne gedient hatte (Abb.4). 

Abb.4: Römischer Keller? Oder Zisterne? Die am besten erhaltenen römischen Mauern liegen heute „unter“ dem Seniorenheim. (Foto: A. Picker) 

Aufgrund der (wohl unerwartet gut erhaltenen) römischen Baureste entschied man sich zur Neukonzipierung der Bauaufgabe für das Seniorenheim. Den zweiten Wettbewerb 1976 gewannen die Architekten Karl Heinz, Dieter Mathoi, Norbert Schweitzer und Jörg Streli. In einem Gespräch mit dem Autor im Januar 2021 äußerte Architekt Karl Heinz, dass gerade die Auseinandersetzung mit den archäologischen Überresten eine besonders reizvolle Herausforderung dargestellt habe. Das zwischen Frühling 1977 und Herbst 1979 errichtete Seniorenheim weist einen nach Nordwesten verschwenkten Zimmertrakt („wie eine Ziehharmonika“) auf, der den Blick auf die im Garten liegenden römischen Mauern freigibt. Die im Freien ca. 1–1,5 m hohen römischen Mauern „durchstoßen“ optisch die Diagonale des Neubaus. Die mehrgliedrige Glasfassade des Subterrains durchschneidet die Mauern zwar punktuell, diese laufen aber im Inneren weiter. Der dortige, nur vom Garten begehbare Kellerraum bildet den eigentlichen „Schutzbau“. Mittels gezielter Beleuchtung werden die insgesamt ca. 4 m hohen Mauerstrukturen besonders in Szene gesetzt. Das originale römische Mauerwerk besteht aus Molassequadern (vom Gebhardsberg) ebenso wie Bachsteinen (aus der Bregenzer Ach) und ist in typischer römischer Manier sehr sorgfältig und in geraden Lagen verlegt. 

Nach Abschluss der Bauarbeiten und Eröffnung des Seniorenheims im November 1979 mussten die Mauerreste vor dem drohenden Verfall geschützt werden. Der Restaurator Emmerich Mohapp aus Graz, an sich ein ausgewiesener Spezialist für Wandmalerei, konnte 1981 für die Mauerkonservierung gewonnen werden. Zur Erhöhung der Stabilität waren Abmauerungen und Auszwickelungen mit einem authentischen Mörtel notwendig. Diese „neuen“ Teile heben sich, wie es sich gehört, aufgrund der Farbe etwas vom Original ab. Der begehbare Boden des Raums ist mit modernen Steinplatten ausgekleidet, zwischen den Mauern auch gekiest. Zwischen den Glasfenstern der Fassade eingebaute Gitterbleche sorgen für eine moderate Durchlüftung des Raums. 

Am Seniorenheim Tschermakgarten kann man drei verschiedene Varianten des Umgangs mit historischem Mauerwerk studieren: eine Mauerkonservierung ohne Überdachung, eine offene Überdachung und schließlich eine völlige Einhausung innerhalb des Gebäudes. Die Auswirkungen sind heute klar erkennbar: Das Mauerwerk im Gartenbereich ist inzwischen teilweise instabil geworden. Zudem hat seine Oberfläche eine dunkle Farbe, eine sogenannte Patina, bekommen. Die vom überhängenden Dach und den Balkonen des Seniorenheims geschützten Mauerabschnitte sind dagegen deutlich weniger abgewittert und erscheinen heller. Im Inneren des Kellerraums zeigt sich zum größten Teil authentisches und unversehrtes römisches Mauerwerk. Leider ist dieses „Guckfenster“ in die Vergangenheit von Bregenz nicht regelmäßig geöffnet bzw. allgemein zugänglich, weshalb es etwas zu einem Geheimtipp geworden ist. 

Autor: Andreas Picker, Bundesdenkmalamt – Archäologie Vorarlberg

Literatur 

S. Jenny, Bauliche Ueberreste von Brigantium. Mitteilungen der K. K. Central-Commission für Kunst- und historische Denkmale 19, 1893, 44–53. 

S. Jenny, Bauliche Ueberreste von Brigantium. Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins 33, 1894, 21–35. 

Neuerliche Grabungen in Brigantium. Montfort 27, 1975, 438–439. 

E. Vonbank, Römische Bauten in Brigantium – Bregenz. In: G. Ulbert/G. Weber (Hg.), Konservierte Geschichte? Antike Bauten und ihre Erhaltung (Stuttgart 1985) 259–262. 

Seniorenheim Tschermakgarten Bregenz eröffnet. Vorarlberger Nachrichten 10.11.1979, 39. 

Seniorenheim Bregenz, architektur aktuell 74, 1979, 36–37. 

Sandsteine in den Mauern der alten Römer: Kopfzerbrechen der heutigen Restauratoren. Vorarlberger Nachrichten, Heimat, 27.08.1981, 7. 

Einblicke. Arbeiten von Karl Heinz. HMS (Innsbruck 2013) 20–21. 

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